Ist das nachhaltig? Der etwas andere Aktionstisch bei Modulor
Eigentlich hätte es in diesem Artikel um die Planung und Gestaltung eines Aktionstisches gehen sollen. Wie das läuft, was alles dahintersteckt und so. Unsere Aktionstische – wer schon mal bei uns im Laden war, kennt sie: Den Tisch zum Fahrradfahren, Weihnachtsgeschenke verpacken, Holz beizen, Seife selbst machen. Oder aktuell eben: Den „Nachhaltigkeitstisch“.
„Lasst uns doch einen Tisch mit nachhaltigen Produkten gestalten“. Das war der Plan. „Mit Produkten aus Berlin und Umgebung, aus recyclebaren Materialien, mit vernünftiger Ökobilanz. Davon haben wir ja ohnehin schon einige im Sortiment.“ Ja, gekommen ist es dann nämlich doch (etwas) anders. Wie, was, warum das erzählt uns heute Sortimentsmanagerin Lisa.
Ein nachhaltiger Aktionstisch: Was ist das nachhaltig?
7.01.2020: Es ist so weit, der erste Entwurf steht. Heißt: In der „Ladenwerkstatt“ im Büro, wo unsere Sortimentsmanager sitzen, wird der nachhaltige Aktionstisch probeaufgebaut. Halt mal, Nachhaltigkeitstisch ist zu diesem Zeitpunkt schon (lange) nicht mehr aktuell. Nachhaltig ist ein tückischer Begriff, das war relativ schnell klar. Weswegen der inoffizielle Arbeitstitel inzwischen „Produkte, die wir gut finden“ lautet.
Aber mal von vorne Lisa. Wie bist du bei der Auswahl der Produkte vorgegangen?
Lisa: Ich bin mit einem Haufen Fragen gestartet. Ziel war es erst einmal, eine Übersicht über die unterschiedlichen Perspektiven zu dem Thema zu bekommen. Dabei bin ich mit verschiedenen Kollegen ins Gespräch gegangen, um herauszufinden, welche Artikel wir bereits im Sortiment haben, die eines oder mehrere dieser Kriterien erfüllen und unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit gesammelt werden können.
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Distanz – Stammt das Produkt aus China oder aus Berlin?
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Material – Findet ein ressourcenschonender Materialeinsatz statt?
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Produktion – Wie klimafreundlich ist die Produktion der Artikel?
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Lebensdauer – Ist der Artikel qualitativ hochwertig und oft wiederverwendbar?
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Sozial Besser – Wird durch den Erwerb des Artikels ein gutes Projekt unterstützt?
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Zertifikat – Hat der Artikel ein Umweltsiegel?
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Change – Hat der Artikel ein Umdenken oder eine Verhaltensänderung zum Ziel?
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Innovation – Verwendet der Artikel neue Herstellungsverfahren, die Recycling ermöglichen?
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Zufriedenheit – Schafft der Artikel langfristig Freude (versus schnelllebigem Konsum)?
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Gerechtigkeit – Trägt der Artikel zu einer gerechteren Verteilung bei?
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Motivation & Inspiration – Begeistert das Produkt für mehr ökologisches Bewusstsein?
„Es war ungemein spannend die unterschiedlichen Perspektiven meiner Kollegen dabei kennenzulernen und das Sortiment aus diesem Blickwinkel zu betrachten.“
Lisa, Sortimentsmanagerin
Und warum nun „Produkte, die wir gut finden“ statt nachhaltig?
Lisa: Nachhaltig – das ist uns während der kurzen und intensiven Beschäftigung in der Vorbereitung des Aktionstisches klar geworden – kann vieles sein, viele werden es unterschiedlich definieren. Aber Geschenkartikel auf einem Aktionstisch gehören vermutlich nicht dazu.
Das Einzige, was dieser Aktionstisch leisten kann, ist es bessere Alternativen zu anderen (Geschenk-) Artikeln vorzustellen und durch Produkte wie dem Saisonkalender für regionales Gemüse oder dem Imprägnierwachs für Textilien, zu einem klimafreundlicherem Handeln zu inspirieren.
Was ist denn nun nachhaltig verdammt?
20.01.2020: Die harte Wahrheit: Wendet man verschiedene dieser Kriterien wirklich konsequent auf die Produkte an, ist der Tisch am Ende leer. Und zwar komplett.
Mach doch mal den Selbstversuch. Nimm Dir in Deinen eigenen vier Wänden ein Produkt, das du auf den ersten Blick mal als nachhaltig oder fair oder umweltschonend produziert kategorisieren würdest. Und jetzt recherchier mal, wo das Produkt produziert wurde, woher die Rohstoffe stammen, inwiefern die Bestandteile recyclebar sind. Realistisch gesehen: Wie lange ist die Lebensdauer? Und auf welchem Weg wird es entsorgt? Wenn es Dir ähnlich geht wie uns, dann wirst Du merken, dass das Eis irgendwann ganz schön dünn wird. Bei unserem Tisch jedenfalls sind viele Produkte wieder weggefallen.
Warum genau?
Lisa: Die erste Runde an Artikeln, die wieder vom Tisch runtergefallen sind, waren Artikel, die am anderen Ende der Welt produziert werden – das Kriterium Distanz war bei der Auswahl relativ zentral. Der zweite wichtige Aspekt war, welche Materialien verwendet werden. Ob der Artikel, zum Beispiel bei Papeterie-Produkten, aus recyceltem Papier ist. Ob der Artikel hauptsächlich aus (nicht recyceltem) Kunststoff ist oder ob der Artikel langlebig ist. In der finalen Auswahl finden sich allerdings doch wieder Produkte, die aus China oder Japan sind, zum Beispiel das Repair-Set von iFixit. Da wurde der Gedanke, der hinter dem Produkt steht (Dinge zu reparieren statt sie wegzuwerfen), für wichtiger bewertet, als die Tatsache wo der Artikel produziert wird. Man sieht also, unsere Auswahlkriterien haben sich im Verlauf – beim Machen und in der Auseinandersetzung – immer wieder angepasst und geändert.
Was waren jetzt im Nachhinein die großen Herausforderungen und Stolpersteine?
Lisa: Artikel, die kein Siegel wie zum Beispiel den Blauen Engel oder Nordic Swan haben oder Cradle-to-Cradle zertifiziert sind, sind ohne aufwändige Recherche nicht zu bewerten, weil einfach
Informationen über Produktion, Lieferketten und den CO2-Fußabdruck fehlen.
Je länger wir uns mit dem Thema beschäftigt haben, desto größer wurde die Gewissheit, dass die Komplexität des Themas in so kurzer Zeit nicht zu bewerkstelligen ist und sich darüber hinaus mit der Intention eines Aktionstisches (zu Konsum zu verführen) widerspricht.
Wir haben viel darüber diskutiert, wie moralisch und wieviel Greenwashing es ist, dem Kunden Produkte als ökologisch vertretbar zu präsentieren und dem Kunden damit zu suggerieren: „Kaufen ist ok”.
Gliedermaßstab (Zollstock)
Holz natur
Formcard thermoplastischer Bio-Kunststoff
3er Set
Soulbottle Trinkflasche
mit Tragegriff, Glas, 0.6 l
Ein Strategiewechsel also. Aber reden wir uns nichts schön. Auch diese Auswahl-Methodik funktioniert nicht ohne Zugeständnisse. Nehmen wir mal das Teraoka Klebeband. Weil es sich von sämtlichen Oberflächen ganz unkompliziert ablösen lässt und dabei auch seine Klebkraft nicht verliert, kannst Du es hundert Mal wiederverwenden. Wer viel verpackt, wie etwa unsere Kollegen in der Rahmenabteilung – einrahmen, mit Schutzfolie verpacken und zukleben, dem Kunden zeigen, also wieder aufmachen, zukleben und so weiter – der weiß, wie viel Klebeband dabei drauf geht. Dicker Pluspunkt in Sachen Langlebigkeit also. Minus-Punkt: Wir beziehen es aus Japan. Damit ist der Fußabdruck schon mal hinüber. Wer also ein vergleichbares Produkt Made in Europe kennt, einmal Hand hoch!
Und wie ist es in Sachen Kriterien dann weitergegangen?
Am Schluss haben wir uns dafür entschieden, nicht ein hartes Kriterium als Auswahlkriterium zu nehmen (z.B. Distanz), sondern die verschiedenen Dimensionen des Themas auch auf dem Tisch zu repräsentieren. Um die finale Auswahl kommunizierbar zu machen, haben wir die Artikel in verschiedene Rubriken eingeteilt:
- Rohstoffe schonen
- Plastikmüll vermeiden
- Langlebige und oft wiederverwendbare Dinge
- X,y,z selber machen (statt fertig kaufen)
- Reparieren, bewahren, pflegen
- Inspiration & Anleitung für sich und Andere
- Lokal einkaufen und Berliner Unternehmen unterstützen
Jetzt verrate uns aber noch kurz Dein Lieblingsprodukt vom Tisch!
Lisa: Das Produkt, welches mir im Verlauf der Vorbereitung des Tisches am meisten ans Herz gewachsen ist, ist das Buch „Und jetzt retten WIR die Welt”. Ich habe jeden Tag, mal morgens zum Aufstehen, mal nachmittags, mal abends ein Kapitel oder auch nur ein paar Seiten gelesen und hatte danach immer gute Laune.
Es beinhaltet inspirierende Denkanstöße, motivierende Impulse und ist durch die diversen Zugänge ein tolles Beispiel für gelungenes Informationsdesign.
Achtung Greenwashing! – Ein Fazit
Die ganze Geschichte macht einmal mehr das Dilemma deutlich, in dem wir stecken. Ja, es tut sich was bei Modulor. Seit dem Klimastreik im September 2019 haben wir immer wieder über kleine Schritte in die richtige Richtung gesprochen. Den Ökobon eingeführt und die AG gebildet zum Beispiel. Aber natürlich geht das gefühlt alles zu langsam und ist wohl auch viel zu wenig radikal.
Das Thema ist komplex, gerade wenn es an die Umstellung des Sortiments geht. Die würde oder wird Jahre dauern. Der Aktionstisch sollte hier ein erster Versuch sein. Inspirieren, motivieren, Alternativen aufzeigen. Und doch können wir damit maximal nur an der Oberfläche kratzen. Kann man so einen Tisch überhaupt guten Gewissens gestalten und promoten? Name jetzt mal hin oder her. Schließlich verleitet er zum Konsum. Zum Kaufen von Produkten, die nicht auf der Einkaufsliste standen und beim besten Willen nicht lebensnotwendig sind. Und ist damit allein schon mal das genaue Gegenteil von nachhaltig.
Ja ein hochwertiger Zollstock kann Dich im Idealfall ein Leben lang begleiten. Aber tut es nicht auch der Alte aus Papas Werkzeugkoffer, der irgendwann vielleicht mal ein billiges Werbegeschenk war? Oder die Strohhalme aus Glas. Ja, sie verhindern, dass wir auf die so verteufelten und Gott sei Dank inzwischen verbotenen Einweg-Plastikstrohalme zurückgreifen. Und ja, sie sind hübsch anzusehen. Aber, wenn man es ganz genau nimmt: Muss man wirklich losrennen und sich Halme aus Bambus, Metall, Glas oder gar Nudelteig kaufen? Können wir unsere Cocktails nicht wie einst unsere Vorfahren ohne Strohhalm schlürfen?
Du siehst, am Ende bleibt ein großes dickes Fragezeichen. Und eine Bitte an Dich. Wir wollen Deine Meinung. Welches ökologisch vertretbare Produkt sollte für Dich auf dem Tisch liegen und warum?
Im Laden haben wir für Deine Ideen Zettelchen und eine Kiste bereitgelegt. Hier geht’s ganz ohne (Papier)Müll. Einmal klicken bitte und uns einen Kommentar auf Instagram hinterlassen.