Interview mit Künstlerin Lisa Büscher
Wer unserem Laden schon einmal einen Besuch abgestattet hat, dem ist vielleicht ein gewisser Kopf aufgefallen. Am Ausgang, neben dem Service Tresen oder auch anderswo. „Milan“ ist seit zirka 2013 so etwas wie das inoffizielle Modulor Maskottchen. Sein starrender, leicht entrückter Blick hat schon bei so manch einem Kunden Verwunderung ausgelöst. Nun hat seine Macherin, Lisa Büscher, den Kopf des alten Mannes geklont. Um daraus echte Berliner Typen zu machen – die Littleberlinheads. Für die Ausstellung Stories from the uncanny valley kooperiert sie mit dem Fotografenduo Neumann und Rodtmann. Die die Geschichten der Köpfe weiterspinnen.
Wir haben mit Lisa gesprochen. Über die Kombi aus hyperrealistischer Plastik und Fotografie, Tücken von Silikon, Menschen in der U-Bahn, ihr Faible fürs Detail und warum die Beschaffenheit von Poren in Gesichtern gar nicht unentscheidend ist.
Du hast eine Ausbildung als Spezialeffekt Maskenbildnerin gemacht und danach für Filmproduktionen gearbeitet. Was hat Dich bewegt in die Kunst zu wechseln?
Wie so oft im Leben war das kein akkurater Wechsel. Ein Faktor war sicher, dass das Filmbusiness 2008 aufgrund der Finanzkrise ziemlich eingebrochen ist und sich viele Produktionen aus Europa zurückgezogen haben. Ich habe zu der Zeit noch Design & Illustration in Münster studiert, hab aber irgendwann auch gemerkt, dass das nichts für mich ist. Und dann hat es mich nach Berlin gezogen. Wo ich dann direkt auch schon meinen ersten Job im Bereich Figurenbau hatte – und zwar für ein Museum.
Wie beeinflusst Dein Background als Maskenbildnerin heute Deine künstlerische Arbeit?
Maskenbildnerin zu sein ist auf jeden Fall eine gute Basis. Ich konnte Erfahrung sammeln in der Arbeit mit Silikon und auch im Formenbau. Davor wusste ich nicht einmal, dass so etwas überhaupt existiert. Also, dass man eine Form erstellt, um Dinge auf bildhauerischer Ebene zu reproduzieren.
Ein großes Plus ist auch, dass ich aufgrund meiner Ausbildung als Maskenbildnerin und meiner Arbeit beim Film inzwischen viel über Haut weiß. Über Hautoberfläche, Altersflecken, wie Haut aussieht, wie unterschiedlich sie sein kann und wie sie reagiert, wenn es kalt ist oder wenn man von einer Mücke gestochen wird. All diese Dinge konnte ich quasi ständig nebenher studieren – am echten Menschen.
Woher kommt Dein Interesse an menschlichen Körper(teilen), insbesondere an Köpfen?
Das Thema Mensch und menschliche Natur hat mich von Anfang an interessiert. Ich habe für mich selbst ständig Menschen studiert. Wie sie aussehen, ihre Besonderheiten, Unterschiede, jede kleine Falte.
Als Maskenbildnerin ist ja auch Imitation immer wieder ein Thema, also wie man etwas aufklebt auf den Menschen und dieses aufgeklebte Material – Schaum, Latex, Silikon – aussehen lässt, wie echte Haut. Hier muss man sehr detailliert arbeiten und sich Wege erschließen, um das perfekt zu imitieren.
Angefangen hat ja alles mit Milan. Für Littleberlinheads hast Du nun mit der alten Negativform identische Rohlinge gefertigt. Erzähl uns etwas über Deine Köpfe. Wer sind Milans Brüder?
Da wäre der Neuköllner, der durch seinen großartigen Schnäuzer besticht. Der Kreuzberger, der ein konstantes Punkleben gelebt hat und vermutlich gerade mit seinen Kumpels in einer Kneipe am Kottbusser Tor sitzt. Die Schöneberger Trans*person, die die schütteren Haare färbt und hübsch frisiert wie eine Frau. Der Hipster aus Mitte, der ein ganzes Set aus kleinen Brillen besitzt und einen Undercut trägt. Und nicht zu vergessen der Charlottenburger, ein Kulturbürger mit dicker Brille und Pomade in den Locken.
Woher stammen diese Gesichter und ihre Geschichten? Beobachtest Du einfach gerne und unternimmst Streifzüge durch Berliner Kieze oder woher nimmst Du die Inspiration?
Natürlich spiele ich hier auch mit Stereotypen. Aber zu Beginn habe ich mich vor allem von Leuten aus der U-Bahn inspirieren lassen. Man schaut in so ein Gesicht und sieht die Falten, gefärbte Haare, eine spezielle Frisur, Besonderheiten der Haut. Und man fragt sich, was der Mensch für eine Geschichte hat. Was treibt ihn um? Wo fährt er hin? Warum guckt er so wie er guckt?
Für Milan wollte ich einen Gesichtsausdruck, der offen ist für Interpretation. Mit leicht entrücktem Blick, in sich hinein lächelnd, aber eben auch nicht sprühend vor Energie. Er ruht eben der Dinge, die da kommen, wenn er aus der U-Bahn steigt.
Für Deine Büsten arbeitest Du mit Silikon. Was zeichnet das Material für Dich aus?
Silikon zeichnet sich für mich vor allem dadurch aus, dass es so flexibel ist. Und mit ihm lässt sich gut Transparenz beziehungsweise Transluzenz erzeugen, ähnlich wie bei Wachs. Früher wurden realistische Figuren ja vor allem mit Wachs nachgeahmt. Das ist aber im Gegensatz zu Silikon ein starres Material und sieht meiner Meinung nach eben auch nach Wachs aus: Es glänzt und ist vielleicht sogar zu transparent. Silikon kann man besser einstellen, um die Haut zu imitieren – man hat den Glanz hier besser unter Kontrolle.
Und auch bei der Applikation der Haare mit einer Nadel kommt einem das Material sehr entgegen. Plus: Silikon lässt sich in jede Richtung färben.
Was ist die größte Schwierigkeit beim Herstellen eines Kopfes mit Silikon?
Es gibt einen großen Nachteil, den man in den Griff bekommen muss. Wenn der Rohling aus der Form kommt, hat er formbautechnisch bedingt Nähte, die man kaschieren muss. Das „Runternehmen“ der Nähte ist relativ schwierig, denn das Material ist hier nicht gerade freundlich. Ich arbeite da mit einem Dremel oder Schleifgerät. Im nächsten Schritt – man nennt ihn Patchen – lässt man die Nähte verschwinden, indem man flüssiges Silikon darüber spachtelt.
Im Kaschieren richtig gut zu werden war auf jeden Fall eine riesige Herausforderung. Über die Jahre lernt man dabei natürlich wahnsinnig viel – teilweise habe ich schon ganze Beine und Arme angefügt und mit flüssigem Material versäubert. Dass das so überhaupt möglich ist, hätte ich zu Beginn niemals gedacht.
Gibt es beim Erschaffen Deiner Köpfe DEN einen Schritt, der dem Kopf Leben einhaucht?
Haare sind ein großer Faktor. Welche Frisur bekommt der Kopf und wie hoch oder tief setze ich die Augenbrauen? Wenn der Rohling glatzköpfig aus der Form kommt, kann man sich schwer vorstellen, wie er später aussehen wird. Nach dem Versäubern male ich erstmal die Haut auf. Dann geht es los. Zuerst Wimpern und Augenbrauen, danach kommen die Haare auf dem Kopf. Und so wächst der Charakter. Schritt für Schritt. So hat der eine Kopf hat eine rausgewachsene, leicht vergilbte Mähne. Ein anderer hat akkurat gekämmte Locken. Der dritte hat einen sehr starken Schnäuzer und einen grauen Ansatz. Wenn die Haare erst einmal appliziert sind, dann ist der Kontrast meist verschoben. Und das vorher Bemalte wirkt zu blass. Also füge ich mit dem Pinsel entsprechende Details hinzu, bis alles stimmig ist.
Ich denke das ist auch der Punkt – diese letzte Stunde – an dem ein Kopf wirklich lebendig wird. Der Feinschliff der Bemalung, also das Artfinish ist wohl aus genau diesem Grund auch einer meiner Lieblingsparts. Man vertieft letzte Details, erhöht Kontraste. Setzt hier noch ein Schweißtröpfchen, dreht da noch eine Locke oder fügt ein wenig Glanz hinzu – etwa auf Augenlidern oder Nase.
Hattest Du von Anfang an eine klare Vision für jeden einzelnen Deiner Köpfe?
Nein eigentlich nicht. Ein gutes Beispiel ist der Schöneberger Kopf (von uns liebevoll auch gerne mal Milena genannt). Sie ist Trans*person, hat Bartstoppeln, trägt aber Frauenkleider. Da hatte ich die Vision die Haare leicht fliederfarben oder hellblau zu machen. Im Prozess habe ich dann verschiedene Strähnen probegefärbt um zu sehen, was mir am besten gefällt. Und sämtliche Frisuren durchgestylt, verschiedene Lippenstifte und Ohrring-Modelle am Kopf ausprobiert. Also vieles entsteht wirklich währenddessen.
Deine Arbeit geht bis in die kleinste Pore. Kann man daraus eine gewisse Faszination für menschliche Imperfektion ablesen? Oder hat das eher zu tun mit einem (sehr guten) Auge und Liebe fürs Detail?
Ja, Imperfektion … Menschen sind ja irgendwo gerade dadurch perfekt, dass sie imperfekt sind. Aber ich habe schon ein gewisses Faible dafür, das stimmt. Bevor ich angefangen habe mit den Figuren, habe ich hyperrealistisch gemalt. Vor allem Obst studiert – aufgeschnitten, fotografiert, abgemalt. Ich liebe es, da bis ins kleinste Detail hineinklettern zu können. Wenn man 30 Stunden vor einer aufgeschnittenen Feige sitzt, gewinnt man erstaunliche Erkenntnisse. Man begreift irgendwann das System, das dem Ganzen zugrunde liegt.
Und dasselbe gilt auch für Haut. Man legt die Poren an – Pore für Pore. Welche Art von Pore muss wohin damit es realistisch aussieht? Muss die Pore rund oder oval sein? Wo beeinflusst Komprimierung das Aussehen von Poren? Genau das macht es für mich dann eben auch hyperrealistisch. Und das zu studieren und diese Zeit zu haben mit einem Objekt. Das liebe ich.
Kennengelernt hast Du Jens Neumann und Edgar Rodtmann ja bereits vor einigen Jahren. Ihr wart quasi Nachbarn hier im Haus. Für Stories from the uncanny valley kehrt Ihr nun zu den gemeinsamen Wurzeln zurück. Warum Modulor als Ausstellungsort?
Genau, ich hatte 2011 hier im Aufbauhaus mein Atelier und daher kenne ich auch Neumann und Rodtmann. Ich fand deren Arbeiten von Anfang toll. Und sie meine. So kam das eine zum anderen. Irgendwann haben sie sich in den ersten Kopf verliebt. Und zu ihm – oder mit ihm – ihre ganz eigene Geschichte gesponnen. Und mitten auf dem Dorf die Serie Milan Stankovic 4.0 geshootet.
Nun folgt eine Art Fortsetzung. Als ich mit der Arbeit an den anderen Köpfen begonnen habe, hatte ich von vorneherein geplant, Modulor anzusprechen. Natürlich auch, weil der erste Kopf – Milan – schon so mit dem Haus verwachsen ist. Ich werde oft angesprochen „Ich hab im Modulor Haus was gesehen, da macht jemand was Ähnliches wie Du… “. Also ja, er ist bekannt und beliebt hier. Und, dass Neumann und Rodtmann noch immer im Haus sind, macht die Sache natürlich noch besser.
Für Stories from the uncanny valley werden die Geschichten der Köpfe ja nun weitergesponnen. Erzähler sind das Fotografenduo Neumann und Rodtmann. Was können die Besucher der Ausstellung erwarten?
Etwas Neues. Diese hyperrealistische Plastik ist recht einzigartig, vor allem in Europa. So etwas in Ausstellungen zu sehen ist selten. Gerade auch in dieser Kombination. Die Fotografie greift die Vorlagen, die die Büsten geben, auf. Anekdoten und Erlebnisse, die diese Köpfe mitbringen und die man ihnen irgendwo auch in ihren Gesichtern ablesen kann. In komplexen fotografischen Inszenierungen spinnen Neumann und Rodtmann die Geschichten von Milan und seinen Brüdern nun weiter. Sie schicken die Köpfe auf Reisen. Das ist etwas Neues. Und etwas, wo wir uns auch gegenseitig völlig freie Hand gelassen haben bei der Interpretation.
Es ist auf alle Fälle auch ein lustiges Thema. Und wer weiß, vielleicht werden die Besucher auf der Heimfahrt in der U-Bahn auch Leute beobachten. Und sich so ihre Gedanken machen, wer ihnen da gegenübersitzt. Wo die Reise heute noch endet, was der so im Schilde führt …